Wearables: Fortsetzung der Protestantischen Ethik mit anderen Mitteln ?!

Max Weber 1894 Max Weber 1894

Die Akademie der Deutschen Medien in München hatte eingeladen zu einer Veranstaltung zum Thema „Wearables – Wie Content-Anbieter von den Technologien am Körper profitieren“. Nach den Vorträgen von Florian Schumacher (Digital Health Consultant, http://www.iic-solutions.de, http://www.igrowdigital.com) und Beate Mutschler (Verlagsleitung Digitale Medien, Gräfe und Unzer Verlag) habe ich mir einige Gedanken zur Bedeutung von Wearables gemacht.

Zunächst einmal: Hut ab vor der genialen Idee des GU-Verlags, den GU-Content in die digitale Welt und auch auf Wearables zu überführen: Ratgeberliteratur zu Gesundheit, Sport, Ernährung, Essen passen perfekt für Wearables, die das größte Potenzial genau in diesen Bereichen haben. Es gibt hochinteressante Business-Modelle für Wearable-Content, da sehe ich eine große Chance für Verlage und andere Unternehmen.

Doch viel mehr beschäftigt mich das Menschenbild und die Philosophie hinter Self-Tracking, Quanitfied-Self und Selbstoptimierung, dem Sammeln und Auswerten von Daten zum eigenen Körper, zur Ernährung und zu sportlichen Aktivitäten. Was mit den Informationen passiert, die Acitvity-Tracker und Smartwatches sammeln, ist schon problematisch genug: Versicherungen belohnen bereits Personen, die gute Gesundheits- und Aktivitätswerte haben. Aber Datenschutz und die Gefahr von Missbrauch persönlicher Daten ist heute nicht mein Thema.

Ich fühle mich nicht wohl beim Bild eines perfekt funktionierenden Menschen, beim Gedanken an Standardwerte, die uns als Maßstab für das richtige Leben von Unternehmen vorgegeben werden. Denn die Wearables zeigen mir ja nicht nur an, wie viele Schritte ich am Tag gelaufen bin oder wie viele Kalorien ich zu mir genommen habe. Sie geben Empfehlungen, was ich tun sollte im Sinne der Selbstoptimierung: mehr bewegen, weniger essen. Ich empfinde das zum einen als eine ungeheure Bevormundung bzw. Entmündigung. Zum anderen steht für mich dahinter ein kaltes, lustfeindliches, genormtes Menschenbild. Eine Philosophie, die enorm simplifiziert, die vorgibt zu wissen, was richtig und was falsch ist, was gut ist und was böse ist. Die belohnt, wenn man gut lebt, und die bestraft, wenn man falsch lebt – entsprechend der vorgegebenen Normen. Die von Menschen hohe Selbstdisziplin verlangt, die Vergnügen und Genuss verteufelt.

Das hatten wir doch schon mal: Max Weber hat in „die Protestantischen Ethik und der Geist des Kapitalismus“ sehr treffend beschrieben, wie vor allem die Weltanschauung der Calvinisten (Fleiß, Askese, Reinvestieren statt Konsumieren, Prädestination) die Industrialisierung vorangetrieben habt. Was Weber als zentrales Element dieser Ethik sieht, nämlich den „Erwerb von Geld und immer mehr Geld, unter strengster Vermeidung alles unbefangenen Genießens, so gänzlich aller eudämonistischen [glückseligen] oder gar hedonistischen [lustorientierten] Gesichtspunkten entkleidet, so rein als Selbstzweck gedacht, dass es als etwas gegenüber dem ‚Glück‘ oder dem ‚Nutzen‘ des einzelnen Individuums jedenfalls gänzlich Transzendentes und schlechthin Irrationales erscheint“ (Bd. 1, S. 44), das lässt sich doch eins zu eins auf die Ethik der Selbstoptimierer mit den Wearables übertragen.

Und nicht ohne Grund kommt die Wearables-Begeisterung ja aus den USA, die dieses Menschenbild und diese Ethik seit den Gründungsvätern kultivieren. Ich möchte Wearables hier auf keinen Fall pauschal verurteilen: Es gibt sicherlich viele Anwendungen, die Menschen helfen und vor Schaden bewahren, die die Gesundheit fördern. Gerade im Bereich Gesundheitswesen und Vorsorge sehe ich viel Positives, was Wearables leisten können. Und Wearables müssen ja nicht per se lustfeindlich und disziplinierend sein. Die Anwendungen können Spaß machen, den Horizont erweitern, Wissen vermitteln und sie können Leben retten.

Mir ist jedoch der „Geist und die Ethik“, die ich hinter dem Konzept des Self-Tracking, der Selbstoptimierung und der Normierung des Lebens sehe, suspekt. Lebensqualität und Gesundheit definieren sich viel breiter, als es Daten aus Wearables zu erheben vermögen. Gutes Leben braucht mehr als Leistungsorientierung, Optimierung und Erfolg. Für mich gehört zur Lebensqualität Selbstbestimmtheit, Individualität, Spontanität, Irrationalität, Lachen, Freunde, Faulheit, und ab und an Leberkäs, Pommes mit Majo und Sahnetorte.

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